BAULICHE GRENZANLAGEN "Berlin" und DIENSTALLTAG
(Anlagenbeschreibung um 1988)
Die Geschichte der Berliner Grenzanlagen ist die Geschichte der Teilung einer Stadt. Der Bau der Mauer trennt 28 Jahre lang Familien, Freunde, Nachbarschaften und Arbeitskollegen aber auch zwei Weltmachtsysteme.
Berlin gehört weder zur BRD noch zur DDR, sondern ist von den Siegermächten als eigenständige polititische Einheit in vier Sektoren nach dem WKII eingeteilt. Die drei westlichen Sektoren wachsen zu West-Berlin zusammen und der sowjetische Sektor wird die Hauptstadt der DDR. Schon zu Beginn der 1950er Jahren kontrolliert die DDR die Zugänge und Zufahrten nach West-Berlin. An den wichtigen Verbindungspunkten enstehen Kontroll- und Passierpunkte (KPP). Mit dem pioniertechnischen Sicherung des innerstädtischen Grenzverlaufs wird die Stadt schließlich 1961 abgeriegelt und getrennt.
Die innerstätische Grenze ist 43,7km und die Umlandgrenze 112,7km lang. Im täglichem Grenzdienst werden Mitte der 1980er Jahre ca. 2.500 AGT diese Grenze sichern. Es enstehen bis 1989 220km Mauer- und 193 m Zaunanlagen sowie 280 Beobachtungstürme, 32 Führungsstellen, 40km Hundelaufanlagen für 400 Hunde und ca. 88km Fahrzeugsperren.
Chronologische Entwicklungsstufen der Grenzanlagen in und um Berlin:
1961 - 10 m Kontrollstreifen, Straßensperren aus Betonplatten u. Stacheldraht, Sichtschutzblenden,
1963 - 500m Grenzgebiet Bezirk Potsdam und 100m innerhalb der Hauptstadt der DDR, Betonmauern bzw. Mauerwerk
mit Stacheldrahtabweisern, Stacheldrahtzaun mit Betonpfosten im Hinterland u. erste Postenstände,
1971 - Lichttrassen, "Spanische Reiter" als Fahrzeugsperren, "K-10" Spurensicherungsstreifen, Grenzmauer mit
Rohrkrone, Aufbau eines erdverlegten GMN,
1975 - Beginn der Errichtung der 3,6 m hohen "Sperrrmauer 75" und Beobachtungstürme aus Betonfertigteilelementen,
1986 - GSiZ mit Hinterlandmauer oder Metallzaun, Erweiterung des freien Grenzstreifens (i.d.R. 50 - 150 m
breit), Kolonnenwege
Im Grenzgebiet
Grafikausschnitt "Grenzstreifen" aus der Plakatausstellung "Grenzen verstehen - Die Berliner Mauer 1961-1989" im April 2017. (Mit freundlicher Genehmigung: Stiftung Berliner Mauer und Infographics Group)
Hinterlandmauer (innerstädtisch)
Das Grenzgebiet in und um Berlin ist i.d.R. - anders als an der Staatgrenze zur BRD - nur 50 bis 150m tief. Als Sichtblende und Sperrelement funktioniert eine Mauer aus querstehenden Betonplattenelementen mit Doppel-T-Träger-Stützen. Vor der Hinterlandsmauer warnen freundseits schwarz-weiße Schilder auf rot-weiß gestrichenen Pfosten. Teilweise sind rot-weiß gestrichene durchlaufende waagerecht Rundrohre als Markierungselemente freundseits zusätzlich errichtet.
Im regelmäßigen Abstand stehen diese Warnschilder (70 x 50 cm) in der Hauptstadt der DDR vor der Hinterlandsmauer auf DDR-Seite. (Privatarchiv d. Verf.)
Im regelmäßigen Abstand stehen diese Warnschilder (70 x 50 cm) vor den Grenzsicherungsanlagen am Außenring zu West-Berlin auf DDR-Seite. (Privatarchiv d. Verf.)
Grenzsignalzaun
Zu Beginn der 1980er Jahren entsteht eine neuartiger Hinterlandzaun; der GRENZSICHERUNGS- UND SIGNALZAUN. Zwischen den Betonpfosten sind verzinkte Streckmetallgitterzaunplatten angebracht. Die waagerechten Alarmdrähte sind freundseits in einem Abstand von ca. 10 cm gespannt. Zur Verhinderung des Unterkriechens werden ca. 60cm tief in den Boden eingelassene Betongitterplatten eingebaut. Die Zaunhöhe ist unterschiedlich. Beim GSSZ I (3m) sind 24 Drähte und beim GSSZ II (2,30m) hingegen 16 Drähte aus Chrom-Nickel-Stahl gespannt. Die Zaunkrone des GSSZ besteht aus einem Y- bzw. T-Abweiser mit Glasfieberstäben und 4-reihigen Alarmdrähten auf Isolatoren je Seite. Auch die oberen Abweiser sind so schwach konstruiert, dass Sie kein menschliches Gewicht tragen können. Anders als beim Zaunvorgänger wird beim GSSZ nun ausschließlich ein sog. „stiller Alarm“ (Anzeige und Signalton in der FÜSt) ausgelöst. Von der gegnerischen Seite und vor dem Auslösenden sollen die Alarme unbemerkt bleiben. Unmittelbar hinter den Grenzsignalzäunen sind häufig - bis Mitte der 1980er Jahre - Dornenmatten (2 x 1m) liegend mit aufstehenden Dornen als "Flächensperren" verlegt.
Beobachtungstürme „BT“
Unmittelbar am Kolonnenweg sind in regelmäßigem Abstand bzw. entsprechende des freien Sichtfeldes Beobachtungstürme errichtet. Anfangs sind diese – ähnlich größerer Jägerständen - aus Holz gebaut. Seit 1969 werden die runden BT-11 (Bez. „11“ auf Grund der max. Anzahl der 1m hohen Turmringelemente aus Röhrenschächtstücke mit achteckiger Beobachtungskanzel) errichtet. Die Türme gibt es auch in geringeren Höhen, diese werden dann bei 6 Stck. Turmringen mit„BT-6“ bezeichnet. Bis zum Ende der DDR sind diese teilweise immer noch in Benutzung.
In den 1970er Jahren folgen aus sicherheitstechnischen Gründen (die BT-11 durften bei Sturm nicht benutzt werden) die quadtratischen BT-9. Der Turmzugang erfolgt bei allen Turmtypen immer freundwärts durch eine überdachte Stahltür. Im Schacht der Turmringe sind stählerne Leitern mit Riffelblechzwischenpodesten bis zur Beobachtungskanzel montiert. Die technischen Ausstattungen und Ausrüstungen der BT-11 und -9 ähneln sich und sind spartanisch. Die technische Turmausstattung besteht ausschließlich aus einem GMN-Anschluss sowie eine Stromversorgung für das Innenlicht, den beiden Heizstrahler und dem großen Außensuchscheinwerfer auf dem Dach. Der Innenraum ist betongrau/weiß gestrichen. Der Betonfußboden in der Beobachtungskanzel ist mit einem dunkelbraun imprägnierten Holzlattenrost belegt. Im Turm gibt es zwei hohe Stahlrohrhocker mit Schichtholzsitzfläche und -lehne (ähnlich eines Barhockers ohne Armlehne), ein Stahlrohrregal, eine Strickleiter für Notfälle und einem Verbandskasten. Im Turm ist i.d.R. ein UKW-Tornisterfunkgerät betriebsbereit aufgestellt. Die Fenster lassen sich beim BT-9 nach innen und beim BT-11 nach außen öffnen. Der Suchscheinwerfer kann von Innen mit einem Drehgriff bedient werden, häufig ist auf der Decke zur Orientierung eine einfarbige Windrose aufgemalt. Die Dachfläche ist über eine Luke und eine unter die Dachdecke eingeklappte Stahlleiter erreichbar. Auf dem Dach befindet sich neben dem Scheinwerfer und der Dachrandbrüstung eine UKW-Antennenanlage.
Führungsstellen“FÜSt“
Die ca. 9m hohen Führungsstellen (4,3 x 4,2m quadratische Grundfläche) in Typenbauweise wurden Ende der 1970er Jahre im Schutzstreifen errichtet. In Berlin waren diese FÜSt als „Führungsstellen Kompaniechef“ nachrichtentechnisch ausgebaut, das bedeutet, dass jede GK ihre eigene FÜSt hat. Die FÜSt waren i.d. Regel mit drei oberirdischen und einer unterirdischen Ebenen errichtet. Hierbei war die EG-Etage mit Schaltanlagen für den GSZ sowie Möglichkeiten der Batterielagerung und einem WC mit Waschtisch vorgehalten. Über eine Luke erreichte man das Kellergeschoss mit Notstromaggregat, pioniertechnischen Rüstzeug sowie den elektrotechnischen Schaltzuführungen und -verteilern. Die mittlere Etage diente als Bereitschaftsraum der Alarmgruppe. Im GKM sind die Alarmgruppen wegen der geringen Personaldichte nur bei VGS in den FÜSten mit aufgezogen. Die obere Kanzel mit nachrichtentechnischen Anlagen und Rundumblick ist die eigentliche Führungsstelle.
Grafikausschnitt "Wachtürme" aus der Plakatausstellung "Grenzen verstehen - Die Berliner Mauer 1961-1989" im April 2017. Die dargestellte Grafik der FüSt und des BT-11 entstehen unter fachlicher Mitwirkung von www.grenzkommando.de - Thilo Wierzock. (Mit freundlicher Genehmigung; Stiftung Berliner Mauer und Infographics Group)
Die obere Kanzel mit nachrichtentechnischen Anlagen und Rundumblick ist das „Herz“ der FÜSt. Die Arbeits- und Blickrichtung auf den 20cm hoch aufgeständerten Bodenpodest aus Holz ist immer Richtung „Berlin-West“ ausgerichtet. In jede Richtung der Kanzel sind vier, davon zwei einzeln – die mittig angeordneten - zu öffnende Verbundglas-Fenster eingebaut; diese Fenster sind häufig spiegelverglast. Auf dem Arbeitstisch sind die nachrichtentechnische Anlagen für die Funk- und Drahtnachrichtenverbindung zur Führungsstelle des diensthabenden Kommandeur der Grenzsicherung in den Grenzregimentern (hier GKM) aber auch für das Fernmeldenetz untergebracht. Weite befindet sich ein Anschlussgerät zum Grenzmeldenetz der Grenzposten sowie die zentralen Bediengeräte der GSZ-Signal-und elektromechanischen Torsicherungsanlagen in der Beobachtungskanzel. Die FÜSt besitzt auch eine kleine meteorlogische Auswertungsanlage. Zusätzlich gibt es eine Führungskarte (Maßstab 1:10.000 bzw. 1:25.000) des Grenzabschnittes, Schreibutensilien und Tabellen. Manche FÜSt besitzen auch 1-2 Videokameras mit innenliegenden Monitoren. Grundsätzlich ist die FÜSt von einem Operativen Diensthabenden (OpD, meist ein Unteroffizier auf Zeit) besetzt. Die Turmbesatzung wird häufig durch Kontrollstreifen und dem diensthabenden Zugführer kontrolliert. Der Zugang zur FüSt erfolgt über eine Gegensprechanlage mit elektrischem Türöffner. Über eine schwenkbare Deckenleiter lässt sich das Dach zu Beobachtungs- und Sicherungszwecken begehen. Mittig befindet sich ein 1.000W Suchscheinwerfer, der von Innen und außen bedienbar ist.
Vom Kolonnenweg bis zum vorderen Sperrelement
Vor den Beobachtungstürmen erstreckt sich linear zum Grenzverlauf der Kolonnenweg, häufig aus 2-reihiger Wabengitterbetonelementen, im GKM aber auch als asphaltierte bzw. wassergebundene Fahrbahnfläche. Feindseits des gesamten Kolonnenwegs und an neuralgischen Punkten im Grenzgebiet sind in einem Abstand von ca. 500m Anschlusssäulen (Betonpfosten mit Anschlussverteiler und –buchse) des erdverlegten Grenzmeldenetzes installiert. Der Anschlussverteiler zeigt immer freundwärts. Die Grenzpostenpaare führen einen Hörer zum Anschluss an die GMN-Säule mit sich. Zum Antritt des Grenzdiensts wird beim Verlassen der GK immer die Funktionstüchtigkeit dieser Postensprecheinrichtung (PSE) geprüft. Die PSE wird in der Hosenbeintasche geführt. Während des Grenzdiensts muss sich das Postenpaar beim Passieren des Anschlusspunkts immer regulär melden. Darüber hinaus kann das Postenpaar sich bei besonderen Vorkommnissen mit der FüSt unmittelbar in Verbindung setzten. Von der FüSt können dann entsprechende Maßnahmen eingeleitete werden bzw. Verbindungen zur GK oder höher hergestellt werden. Bei fehlender unmittelbarer Erreichbarkeit der Anschlusssäule in Notfällen macht sich das Postenpaar durch Handsignale (z.B. „Versuchter Grenzdurchbruch aus Richtung DDR“ = 1 x 3 Sterne Rot) bemerkbar. Im Bereich der Zugänge zum Grenzgebiet sind zusätzlich Ruf- und Sprechsäulen (sogenannte „Uhus“) installiert. Alarmgruppen und Grenzaufklärer führen zusätzlich UKW-Handfunkgeräte (z.B. RFT-U 700 oder R 126) mit. Arbeiten zivile Kräfte im Grenzgebiet können nur in Begleitung mit Grenzsoldaten ausgeführt werden. Mit Verlauf des GMN sind in regelmäßigem Abstand Straßenleuchten als Lichttrassen ausgebildet. Die Lichttrasse leuchtet nicht den Kolonnenweg, sondern den 6m breiten Spurensicherungsstreifen „K-6“ aus. Hinter dem K-6 sind meist 2-reihige Stahl-Träger-Sperren – sogen. „Spanische Reiter“ – in Betonfundamente aufgebaut, häufig sind diese Sperren mit Stacheldrahtlagen verbunden. Zwischen den „Spanischen Reitern“ und dem erstes Sperrelement liegt ein ca. 10m breiter freier Streifen. Abschließend verläuft kurz vor der tatsächlichen Grenzlinie die 3,4m bis 4,20m hohe Betonmauer aus Fertigbetonsegmenten. Die Mauerkrone ist mit 40cm breiten runden Faserbeton-Rohrauflage gegen Überwinden geschützt. Der auskragende Fundamentefuß zeigt freundseits. Die Mauerelemente sind freundseits weiß getrichen. Die Mauer hat an wenigen Stellen Zugangstüren für Wartungsarbeiten im vorgelagerten – feindseitigen – Grenzbereich. Im Grenzgebiet in uns um Berlin wird es zu keiner Zeit Bodenminen oder Selbstschußanlagen geben.
Quelle:
Peter Joachim Lapp "Gefechtsdienst im Frieden", Bernhard & Graefe Verlag, Bonn - 1999
Stiftung Berliner Mauer und Infographics GmBH, Plakatreihe "Grenzen verstehen", Berlin - 2017