GRENZTRUPPEN RELEVANTE BEREICHE IN DEN MFS-HAUPTABTEILUNGEN                                                                                                                                                                                                  

Abdrücke vom kleine Dienstsiegel (22mm Durchmesser) der in der GT tätigen MfS-HA-Einheiten; HA I (Abwehrarbeit in NVA und Grenztruppen), HA VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel) und HA VII (Abwehrarbeit MdI/DVP). (Privatarchiv d. Verf.) 

 


Ministerium für Staatssicherheit - Hauptabteilung I  

(NVA und Grenztruppen)

 

Die HA I ist  von 1950 bis 1990 für die  Kontrolle und Sicherung der Angehörigen und der Einrichtungen der Truppenteile (TT) des Ministerium für Nationale Verteidigung verantwortlich. Zu Beginn der 1950er Jahre kontrolliert das MfS besonders die in der KVP bzw. späteren in der NVA übernommenden ehemaligen Wehrmachtsoffiziere und -gerneräle, da sie als politisch unzuverlässig und in "Westverbindungen" stehend eingeschätzt werden. In den GP-Kommandos, GP-Bereitschaften und ab 1957 in den verbänden und Truppenteilen der DGP werden ständige zur Verwaltung "2000" des MfS zählende Mitarbeiter (Militärabwehr) eingesetzt. Die Abwehr- und Aufklärungsarbeit soll der Kampfkraft und -moral in den TT dienen. Die Analysearbeit der HA I im gesamten Personalbestand untersteht dem Moto „Wer ist Wer?“ und kann sich vom Soldaten bis zum General beziehen; entsprechend ein Zitat des MfS-Generalleutnant Gerhard Neiber aus dem Jahre 1989:

"Bereits im Rahmen seiner im Frieden wahrzunehmenden Verantwortung wird durch das MfS alles getan, um die subversiven Angriffe äußerer und innerer Feinde gegen die DDR und damit auch gegen die Verteidigungsfähigkeit der DDR aufzudecken, vorzubeugend, zu verhindern und zu bekämpfen. Darin eingeschlossen ist die Gewährleistung der personellen und funktionellen Sicherheit der Landesverteidigung der DDR.“  

Im Kommando der Grenztruppen in Pätz ist eine Nebenstelle der HA-I mit den Bereichen "Abwehr" und "Aufklärung" eingerichtet. Gemäß der Dienstanweisung Nr. 10/81 vom 4. Juli 1981 sind für die beiden bereiche folgende Hauptaufgaben festgelegt:

 

Abwehr: 

  • Vorbeugung, Verhinderung von Republikflucht, Terror- und Diversionsverbrechen
  • Vorbeugung, Verhinderung von Fahnenfluchten und anderen schweren Militärstraftaten
  • Organisation und Überwachen der Kräfte des Zusammenwirkens zur Grenzsicherung
  • Mitwirkung an Rekrutierungen und Kaderentscheidungen innerhalb der Grenzsicherungskräfte
  • Bekämpfung von Militärspionage gegen die Grenztruppen
  • Einflussnahme in die Entscheidung zur Personeneinreise in das DDR-Grenzgebiet 

 

Aufklärung: 

  • politisch-operative Aufklärung innerhalb des Grenzvorfeldes
  • Untersuchung von subversiven Angriffen auf die Staatsgrenze
  • Aufklärung feindliche Spionage und Schleusertätigkeit a.d. Staatsgrenze 
  • Feststellen von Mängeln und Schwächen im Grenzschutz-System
  • Befragung von festgenommenen Grenzverletztern aus Richtung West   

 

Diese beiden Bereichen werden als Abteilungen bei den drei territorialen Grenzkommandos eingerichtet. Innerhalb der Kommandos unterhält die HA I wiederum Unterabteilungen in den jeweiligen GRern. Ferner ist seit 1986 eine Abteilung "Grenzsicherheit" beim Kommando der GT in Pätz tätig, deren Unterabteilungen in Schwerin, Erfurt, Suhl, Gera und Karl-Marx-Stadt nachgeordnet sind. Die Aufgabe dieser Abteilungen wird mit dem MfS-Befehl Nr. 2/86 zum Einsatz und Koordination der an der Sicherung der Grenze beteiligten Kräfte definiert. Die HAI verfügt in den 1980er Jahren über ca. 2.500 Mitarbeiter und mehr als 12.000 IM. Das entspricht bei der Gesamtstärke von ca. 215.000 Angehörigen in der NVA und GT eine durchschnittliche IM-Dichte von einem IM auf weniger als 20 Soldaten. 

Die Tätigkeit des MfS innerhalb der GT und NVA wird gegenüber den Aktivitäten in der Öffentlichkeit weit weniger geheim gehalten. Unter dem Namen „Verwaltung 2000“, "Abteilung 2000" bzw. „Militärabwehr“ waren die VO (Verbindungsoffiziere) bzw. OBE (Offiziere im besonderen Einsatz) im Truppendienst bekannt.  

 

Einsatzkompanie zur Truppenaufklärung

Um Terror- und Gewaltverbrechen sowie die Fahnenflucht von Soldaten zu verhindern wird im Dezember 1968 auf Befehl des Leiters der HAI GM Karl Kleinjung die Einsatzkompanie (EinsKp) zur Truppenaufklärung der MfS-HA I  (im GKS „Heldburg“) gegründet. Der erste Kompaniechef ist bis 1979 Eberhard Starke, später gefolgt von Wolfgang Singer (1979–1983) und Alexander Baier (1983–1985).

Die Hauptaufgaben der EinsKp sind:

  • Sicherungs- und Beobachtungsaufgaben über getarnte militärische Operationen an der Staatsgrenze und
  • personenbezogenen Überwachungsmaßnahmen in den GT- und NVA-TT

Die Ursprünge der EinsKp stehen im Zusammenhang mit dem Befehl Nr. 107/64 des MfS-Ministers  im Januar 1964 zur Verbesserung der der Grenzsicherung in und um Berlin mittels einer verdeckten MfS-Kampfeinheit. Im Oktober d.J. wird der Kanalisations- und Tunnelzug des SKB als SiK vom MfS übernommen und der HAI unterstellt. Neben dem Erkennen von Tunnelbauten und Fluchtmöglichkeiten über die weitläufige Berliner Kanalisation hatte die neue Kompanie die Aufgabe, schwere bzw. bewaffnete – Grenzdurchbrüche“ zu verhindern. Die Ausbildung der Kompanieangehörigen erfolgte als Truppen- und Einzelaufklärer oder als Einzelkämpfer an der Sonderschule "Else" in Biesenthal (Kreis Bernau) sowie an der Spezialschule der Abtl. IV/2 "Maria" in Schloß Struvenberg (Kreis Belzig). Die spätere als EinsKp bezeichnete Kompanie untersteht zunächst der HAI-Abteilung „Operativ“ und folgend der „Äußere Abwehr“. Nach außen operierte die Kompanie als Einheit des GR-42 in Kleinmachnow (Bez. Potsdam) und war zeitweilig in Stolpe (Kreis Oranienburg) und Schultzendorf (Kreis Königs Wusterhausen) stationiert. Da die GT in den 1980er Jahren eigenständige Einheit mit entsprechendem Aufgabeninhalten besitzen wird die EinsKp nach der Pensionierung des Generalleutnants Kleinjung 1985 aufgelöst. Ein Teil der Einsatzkompanie wird als SiK im GR-33 (B.-Treptow) legendiert, in die Wach- und Sicherungseinheit (WSE) eingegliedert und dem Sekretariat der HA I weiter unterstellt.

Anfänglich besteht die EinsKp aus zehn Angehörigen, 1969 sind es schon dreißig Angehörige. Später wächst die Angehörigenanzahl auf 50 bis 70. Noch in den Ausbildungsstätten der US-VI (Perleberg) bzw. der Fähnrich- und Grenzaufklärerschule (Nordhausen) werden „besonders klassenbewusste“ Schüler erfasst und einer ersten Legendierung (Maskierung bzw. Veränderung der persönlichen Identität) unterworfen. Bei erfolgreichem Studienabschluss erhalten die Absolventen bei einer halbjährigen Ausbildung an den Ausbildungsstätten der HA I neben der weiterführenden Legendierung eine Spezialausbildung als Grenzaufklärer. Hier werden die bisherigen Kenntnisse der Waffen- und Schießausbildung vertieft und durch eine äußerst harte militärische Körperertüchtigung und Komplexausbildungen mit konspirative Aufklärungshandlungen und Ausbildung im Verbindungswesen ( z.B. das Anlegen von – Toten Briefkästen „TBK“ oder den Bau von Beobachtungsstellen) ergänzt.  Die Angehörigen der EinsKp haben den Status von "Hauptamtlichen Inoffiziellen Mitarbeitern im besonderen Einsatz" (HIME). Die Lehrgangsleiter (z.B. Zugführer) sind MfS- „Offiziere im besonderen Einsatz“ (OBE). Äußerlich treten die HAI-Angehörigen in den Uniformen der GT als AGT auf. Die übrigen Angehörigen der Lehreinrichtungen und Einheit sind gewöhnliche AGT. Die Ausbildung der EinsKp in der VM beginnt im Dezember 1968 in Nonnevitz und  für die SKB – ebenfalls ab 1968 - bei der Aufklärungsausbildung in Henningsdorf.

Dienstausweis eines OBE - ein Hauptmann der HA I - mit Zugangsberechtigung im Grenzgebiet und im Schutzstreifen an der Staatsgrenze zur BRD, Grenzabschnitt des Grenzregiment 10 (Plauen) und 15 (Sonneberg). Gültig von 1972 bis 1979, ausgestellt und gezeichnet durch Oberst Wolfgang Leonhardt - den späteren Generalleutnant, Stv. Chef der Grenztruppen und Chef der Ausbildung - damals Stv. Chef des Stabes für operative Arbeit im Kommando der Grenztruppen. (Privatarchiv d. Verf.) 

 

Dienstauftrag eines MfS-Unterleutnant mit Berechtigung zum Zutritt im Bereich des Sperrgebiets in den Kreisen Sonneberg und Neuhaus (Bezirk Suhl) in der zweiten Hälfte des Jahres 1989. Zusätzlich abgebildet; ein MfS-Dienstausweis (sogenannter „Klappfix“ Ausweis in Hülle am Befestigungsband) und eine persönliche MfS-Petschaft (zur Markierung von Siegeltöpfen z.B. an Panzerschränken, Dienstzimmern oder Dokumentenmappen) aus dem gleichen Zeitraum. (Privatarchiv d. Verf.) 

 

Von 1974 bis 1985 erfolgte die Ausbildung der internen „Grenzaufklärerlehrgänge" I bis III für die EinsKp auf der Stintenburg, in der Nähe von Schiedungen  und bei Blankenstein. Die „Stintenburg“ ist eine klassizistische Schlossanlage, auf einer östlichen Insel im Schaalsee welche nach außen als "Sonderschule des MfNV", jedoch in internen Dokumenten als "Zentralschule der HA I" bezeichnet wird. Die letztgenannte Einrichtung befindet sich im Grenzspeergebiet in direkter Nachbarschaft zum Standort der II.GB des GR-6 bei Lassahn und in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze zur BRD. Kurios ist, dass die gesamte Insel  - außer durch einen Spurensicherungsstreifen im Bereich des westlichen Forstzugangs (die Staatsgrenze bildete die Uferlinie der Stintenburginsel, Gemarkung "Kampenwerder") durch keinerlei technischer Grenzsicherungsanlagen geschützt ist; immerhin gibt es neben den Anlagen der HAI (Stintenburg) und des GT-Bootszuges (Lassahn) auf der 5 Hektar großen Insel auch sechs  wohn- und landwirtschaftlich genutzte  Gebäudekomplexe. Übrigens können die vier eingesetzten GT-Grenzsicherungsboote  zwischen dem nördlichen Lassahner See und dem südlichen Borgsee bis Zarrentin ausschließlich unter der niedrigen Dammbrücke zwischen Lassahn und der Stintenburginsel auf dem jeweiligen Seebereich operieren, da eine Inselumfahrt wegen des Grenzverlaufs am westlichen Inselufer unmöglich war. Wegen der niedrigen Brückenunterfahrt sind die  auf dem Schaalsee im Dienst gestellten Grenzboote vom Typ GSB 066 und 075  ohne die sonst typischen Kabinenaufbauten wie Suchscheinwerfer und Radaranlage ausgestattet. 

Luftbildaufnahme der "Sonderschule des MfNV" aus westlicher Richtung auf der Insel Stintenburg zwischen dem "Lassahner See" und dem "Borgsee" im Oktober 1976. Die historische Schlossanlage (1810 - 1945 und seit 1990 wieder Sitz der Familie von Bernstorff) dient von 1974-1985 als Zentralschule der HA I des MfS zur Ausbildung von  inoffiziellen Mitarbeiter in den GT als Truppen- und Einzelaufklärer bzw. Einzelkämpfer von 1974-1985. Zuvor nutzt die DGP bzw. später das NVA-Kommando Grenze diese Anlage für Ausbilderlehrgänge von Offiziersanwärter. Auf der oberen Bildmitte lässt sich die Anlegestelle des Bootszugs der Grenztruppen in Lassahn rechts an der Dammbrücke erkennen. (Privatarchiv d. Verf.) 

 

Topographischer Kartenausschnitt ("Vertrauliche Verschlusssache des MfNV" - Ausgabe 1988) des Schaalsees  an der Staatsgrenze zw. der BRD und DDR  - 1.) Grenzverlauf, 2.) Stintenburg mit Zufahrtsdamm (entspricht dem obigen s/w Luftbild) , 3. Lassahn - Standort des II.GB im 6.GR. (Privatarchiv d. Verf.)   

 

 

Besondere Aufmerksamkeit erlangt die EinsKp im August 2007 als der Öffentlichkeit ein bis dahin „unbekannte“ Dienstanweisung mit einem besonderen Befehl - auch gegen „Frauen und Kinder“ – vorgestellt wird. Später stellt sich heraus, dass diese Dienstanweisung schon 1993 bei der BStU in den Unterlagen der MfS aufgefunden wurde. Im Zuge der weiteren Forschungen weist der Historiker und Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen - Hubertus Knabe - darauf hin, dass es sich nicht um einen allgemeinen Schießbefehl, sondern um eine Spezialanweisung für Sonderfälle innerhalb der HAI handelt. Auch die BStU-Beauftragte - Marianne Birthler – stellt zeitgleich fest, dass es sich nicht um den „Schießbefehl  für die GT“ handelt: „Es ist kein Befehl, der sich an die Grenzsoldaten richtete, sondern ein Befehl an eine besondere Stasi-Einheit, die die Fahnenflucht von Soldaten mit allen Mitteln verhindern sollte.“ In dem Dokument heißt es unter anderem:

 

 

„Auftrag …

1. Verhinderung von Fahnenfluchten

Erkennen von Fahnenfluchtabsichten, um deren Verhinderung mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen zu gewährleisten. Um versuchte Fahnenfluchten während des Grenzdienstes zu verhindern, macht es sich notwendig, daß Sie dies rechtzeitig erkennen und vereiteln. Aus diesem Grund dürfen Sie sich nicht von Ihrer Waffe trennen und die Kontrolle der Funktionstüchtigkeit hat vor Beginn des Grenzdienstes zu erfolgen. Bei Notwendigkeit haben Sie die Schußwaffe konsequent anzuwenden, um den Verräter zu stellen bzw. zu liquidieren…

2. Verhinderung von Grenzdurchbrüchen

Es ist Ihre Pflicht, Ihre Einzelkämpfer- und tschekistischen Fähigkeiten so zu nutzen, daß Sie die List des Grenzverletzers durchbrechen, ihn stellen bzw. liquidieren, um somit die von ihm geplante Grenzverletzung zu vereiteln. Handeln Sie dabei umsichtig und konsequent, da die Praxis die Gefährlichkeit und Hinterhältigkeit der Verräter mehrfach beweist.

Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schußwaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben…“

 

Der bekannteste Einsatz der EinsKp wird die im April 1976 geplante Festnahme von Michael Gartenschläger im Grenzverlauf Leisterförde/Bezirk Schwerin und Bröthen/Schleswig-Holstein sein. In der Nacht zum 1. Mai 1976 versucht Gartenschläger mit zwei Unterstützern eine weitere SM-70 am Grenzknick bei Grenzsäule 231 abzubauen oder zumindest zur Explosion zu bringen. In Kenntnis des Vorhabens, ohne jedoch Ort und Zeit genau zu wissen, sind im Sicherungsbereich der 8.GK (Leisterförde) seit dem 24. April 1976 weiträumige Sicherungsmaßnahmen durch 29 Angehörige der EinsKp erfolgt. Gartenschläger postierte seine beiden Gefährten an der Grenzlinie und betritt das DDR-Territorium am Grenzknick, wo bereits zwei Doppelposten der EinsKp in Stellung liegen. Gartenschläger wird durch mehrere Schüsse unmittelbar getötet.

 


Ministerium für Staatssicherheit - Hauptabteilung VI 

(Grenzüberschreitender Verkehr, Passkontrolle, Tourismus, Interhotel) 
 

An den Grenzen der DDR zur Bundesrepublik Deutschland, zu Westberlin, zur CSSR, zur Volksrepublik Polen und an der Seegrenze gibt es Kontrollpassierpunkte (KPP), später Grenzübergangsstellen (GÜSt) genannt. Zunächst - seit 1950 – sind die DGP und die Zollverwaltung mit der Grenzabfertigung und dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr beauftragt. 

Nach den Ereignissen am 13. August 1961 in Berlin fokussierte sich die Staatsführung der DDR auf die Gefährdung der staatlichen Sicherheit an den nun insgesamt kanalisierten Grenzübergängen zum westlichen Klassenfeind. Die HA VI wird  1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der „Zoll-Abwehr“ (Überwachung der Angehörige Zollverwaltung) gebildet. Die schnell wachsende und später personalstärkste MfS-Hauptabteilung soll von nun an bis zum Ende der DDR hier Ihre Tätigkeit – getarnt in den Uniformen der GT - ausführen. Viele der bisher eingesetzten Angehörigen der GT werden in den ersten Jahren als hauptamtliche MfS-Mitarbeiter übernommen. Zum Ende (1989) der DDR soll die HA VI etwa 7.800 hauptamtliche Mitarbeiter umfassen. Die HA VI (Passkontrolle) ist jeweils der regionalen MfS-Bezirksverwaltung zugeordnet. In Berlin ist die jeweilige PKE-Einheit der zentralen HA VI direkt unterstellt.

1970 übernimmt die HA VI von der HA XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975 zu Teilen an die neu gegründete Zentrale Koordinierungsgruppe (Republikflucht) übergeben wird. Die HA VI überwacht zusätzlich bedeutende touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso werden DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland überwacht, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche möglichst zu verhindern. Die Operativgruppen des MfS in der CSSR, Ungarn und Bulgarien sind der HA VI von 1970 bis 1989 unterstellt.

Einer Passkontrolle unterliegen generell – bis auf Angehörige der Besatzungsmächte - alle Personen, die in das Staatsgebiet der DDR ein- oder ausreisen wollten. Die Passkontrolle erfolgte an den für den grenzüberschreitenden Verkehr zugelassenen Grenzübergangsstellen (Fußgänger-, Straßen-, Bahn- und Binnengewässerübergänge sowie See- und Flughäfen).

 

Der Kontrollvorgang der PKE umfasst:

 

  • die Prüfung der Voraussetzung für einen zulässigen Grenzübertritt (Vollständigkeit und Gültigkeit der Dokumente),
  • die Echtheitsbeurteilung der Pässe, Dokumente und deren Eintragungen,
  • die kriminalistische Personenidentifizierung,
  • die Realisierung politisch-operativer Grenzfahndungen,
  • die Filterung des grenzüberschreitenden Verkehrs zur Gewinnung politisch-operativ bedeutsamer Informationen,
  • die Erteilung von Visa und Erhebung von Gebühren.

 

Das Kontroll- und Abfertigungsverfahren in den GüSten ist in einer Passkontrollordnung (PKO) festgelegt. Die Pässe, Ausweise und weiteren Dokumente werden mittels Videosignal von den Kontrollstationen in einen zentralen Fahndungsraum innerhalb des Kontrollterritoriums im GÜSt-Bereich übertragen, und konnten dort bei Bedarf aufgezeichnet werden. Parallel sind die Kontrolldienststellen datentechnisch mit dem MfS-Zentralsitz in der Normannenstraße in Berlin verbunden. In Sekundenschnelle konnte der Fahnder ggf. weitere Informationen aus den Fahndungsbeständen über den Passinhaber erhalten. Mittels Zahlencodeanzeige können Befehlsübermittlung an den Kontrolleur erfolgen, z. B. „weiterblättern“, „zusätzliche Dokumente anfordern“, „Abfertigung verlangsamen“, „vordefinierte Fragen stellen“. Anders als in vielen anderen Ländern (Visaerteilung über die Botschaften) erfolgt die Erteilung von DDR-Visa (Transit- und Einreisevisa) zum größten Teil direkt an den GÜSt. Damit verbunden ist ein erheblicher personeller und organisatorischer Aufwand.

Neben der Abfertigung des grenzüberschreitenden Verkehrs gibt es an den jeweiligen GüSt Abstimmungsaufgaben welche vom PKE-Leiter (MfS) mit dem ihn unterstellten GÜSt-Kommandanten (GT) so zu organisieren sind, so dass die operative Aufgabenstellung der Passkontrollkräfte innerhalb des Kontrollterritoriums (Innenbereich des GüSt) nicht beeinträchtigt wird. Hier soll es im täglichen Umgang erhebliche Konfrontationen und Kollidierungen zwischen der PKE und den weiteren GÜSt-Angehörigen geben. Der GÜSt-Kommandant hat neben der Wartung, Instandsetzung und Ausführung von baulichen, verkehrs- und sicherheitstechnischen Anlagen auch den Objektbetrieb mit Verpflegung, Bereitschaft und Reinigung sicherzustellen. Alle am GÜSt tätigen Kräfte und Dienstleister (hier sei der sogenannten „Objekt-Service GÜSt“ z.B. als Deutschen Roten Kreuz, Reisebüro, Staatsbank, Mitropa, Intershop und die Deutsche Post genannt.) werden vom GÜSt-Kommandanten geleitet.  Bei der operativen Aufgabenstellung des PKE geht es um die Verhinderung von Grenzverletzungen innerhalb des GÜSt-Bereichs im Zusammenwirken mit den GT und dem Zoll, die Abwehr von Demonstrativhandlungen, die Verhinderung von Missbrauchshandlungen (illegale Schleusungen von Menschen, Übergabe von Waren, Zeitschriften usw.) auf den Transitwegen sowie die sich daraus ergebende Einleitung und Durchführung von Fahndungs-, Kontroll-, und Sperrmaßnahmen, um dies zu verhindern.  


Ministerium für Staatssicherheit – Hauptabteilung VII

(Abwehr im Ministerium des Innern und Deutsche Volkspolizei)  

 

Aus dem Ministerium des Inneren (MdI) entwickelte sich zu Beginn der DDR alle weiteren bewaffneten Organe wie zum Bsp. die Armee, die Grenzpolizei und die Staatssicherheit. Zu Beginn der 1960er Jahren verlor das MdI durch die Ausgliederung von Zuständigkeiten seine herausragende Bedeutung. Gleichwohl war ihre Zuständigkeit im Sinne eines klassischen Polizeiorgans viel weitreichender; hier ist z.B. die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ zu benennen. Das MfS organisierte im Rahmen seiner Funktion als „Schild und Schwert der Partei“ mittels der HA VII die Kooperation zw. den beiden Ministerien für Staatssicherheit und des Innern und war zugleich für die Überprüfung und Überwachung der MdI-Angehörigen sowie die Kontrolle derer Arbeitsprozesse verantwortlich.

 

Die HA-VII ist zum Ende der DDR in acht Abteilungen gegliedert:  

 

  • Abtl. 1 - DVP, K, S, Pass- und Meldewesen, Inneres, Stab, VDV, HSDVP 
  • Abtl. 3 – Zentrales Aufnahmeheim 
  • Abtl. 4 – Materielle und finanzielle Aufgaben 
  • Abtl. 7 – Bereitschafts-Pol., Kampfgruppen, DRK, Geodäsie und Kartographie
  • Abtl. 8 – Strafvollzug 
  • Abtl. 9 – politisch-operatives Zusammenwirken 
  • Abtl. 13 – Schmuggel und Spekulation 
  • Abtl. 14 – Fahndung  

 

Grenzspezifische Zuständigkeitsbereiche fanden sich besonders bei folgenden Abteilungen: 

 

HA VII/ Abteilung 1/ Referat 1 

Zuständig für das „Pass- und Meldewesen“ mit den Büros für Pass- und Ausländerangelegenheiten „BPAA“ sowie für Personenendaten „BPD“.

 

HA VII / Abteilung 13 

Diese Abteilung kooperierte eng mit den Steuer- und Zollbehörden und der Kriminalpolizei der DDR. Mit operativen Mitteln zur geheimpolizeilichen Bekämpfung von internationalem Schmuggel und politisch bedeutsamen Spekulationsgeschäften trat das MfS immer dann auf den Plan, wenn Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen, ausländischer Geheimdienste oder westlicher Medien involviert waren, Verbindungen zu „staatsfeindlichen Gruppen“ bestand oder der Schmuggel internationale Dimensionen erreichte. 

 

HA VII / Abteilung 14

Die Fahndungsaktionen konzentrierten sich auf solche Fahndungen „die für die Gewährleistung der staatlichen Sicherheit von besonderer Bedeutung“ in unmittelbaren bzw. mittelbaren Zusammenhang mit Angehörigen der bewaffneten Organen (z.B. Abhandenkommen und Entwendungen von dienstlichen Dokumenten, Waffen und Militärfahrzeugen) standen. Ein weiterer Schwerpunkt war die Suche nach flüchtenden sowjetischen oder NVA-Soldaten, sonstigen Waffenträgern, vom Transitweg abgekommende Bundesbürger, staatlichen Geheimnisträgern, geflohenen Häftlingen und potenziellen Grenzverletzern. 

 

Zentrale Koordinationsgruppe - Bekampfung von Flucht und Übersiedlung

 

Gruppenleiter: 

  • Oberst Willy Woythe (01.11.1975 - 03.1983)
  • Generalmajor Gerhard Niebling (03.1983 - 1990)  

Auf Weisung des Ministers für Staatssicherheit der DDR – Armeegeneral Erich Mielke – steht  die Gründung der Zentralen Koordinationsgruppe (ZKG) und der Bezirkskoordinationsgruppen (BKG) im Jahre 1976 im starken Kontext zur Reaktion der SED-Führung gegenüber der deutsche-deutschen sowie der internationalen Vertragspolitik (DDR-Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki im Jahre 1975 verbunden mit wichtigen internationalen Vereinbarung zur Staatensouveränität der DDR und Einhaltung der Menschenrechte zur guten Nachbarschaft“ in Europa). Diese politische Entwicklung ist für die SED-Führung im Sinne der internationalen Anerkennungspolitik ein weitreichender Triumph. Gleichwohl entstehen auf Grundlage der zunehmenden Ost-West-Kontakte und der Berufung der Ausreisewilligen auf staatlich anerkannte Menschenrechte und Grundfreiheiten erhebliche Gefahren für den kommunistischen Machterhalt in der DDR. Unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte nimmt von nun an die Zahl der "Antragsteller auf ständige Ausreise" zu. Zum Zeitpunkt der ZKG-Gründung konzentriert sich der Koordinierungsbedarf zunächst auf die Bekämpfung der „Republikflucht“. Später entwickelt sich der Aufgabenschwerpunkt zur „Ausreise“. Die kaderpolitische Entscheidung zur Leitung der ZKG fällt auf Oberstleutnant Dr. Willy Woythe (Jahrgang 1922). Woythe ist 1954 in die Dienste des MfS getreten und wird im Vorfelde auf Grund seiner „Qualität in der politisch-operativen Arbeit“ durch seine „direkter Einflussnahme auf dem Gebiet der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels und in der vorbeugenden Sicherung der Staatsgrenze nach Westberlin“ mit der „Medaille für vorbildlichen Grenzdienst“ (1970), dem „Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland“ in Silber (1972) und dem „Vaterländischen Verdienstorden“ in Bronze (1975) ausgezeichnet. Das Thema der JHS-Dissertation (1975) von Woythe lautete: „Die völker- und staatsrechtlichen Grundfragen der Staatsgrenzen. Die Grenze zwischen der DDR und der BRD zur Ostsee und um Westberlin und die politisch-operativen Aufgaben zu ihrer Sicherung“. Sein Nachfolger wird im März 1983 Oberst Gerhard Niebling (Jahrgang 1932). Der 1952 in die Dienst des MfS getreten ist und seit 1953 der HA IX (Untersuchungsorgan) angehört. Die ZKG hat durch koordinierende und anleitende Tätigkeit „federführend“ gegenüber der HA VI, VII, VIII, IX und der Abtl. X, der Fahndungsgruppe, der Abtl. XXII und anderer MfS-Diensteinheiten zu koordinieren und durchzuführen sowie durch eigene politisch-operative Maßnahmen (besonders auf dem Gebiet der CSSR, VR Ungarn, West Berlin und der BRD) die Fluchtbewegung und die Anträge auf dauerhafte Ausreise aus der DDR unter Kontrolle zu bringen, zu bekämpfen und möglichst zu verhindern. Die MfS-Führung entwirft ein Dreistufenprogramm für die ZKG: 

 

  1. Kampf gegen die Unterstützer von Antragstellern in der BRD (z.B. gegen die "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ bzw. "Hilferufe von drüben e.V.")
  2. Umfassende Aufklärung der Antragsteller zur Ausreisemotivation mit möglichen Ansatzpunkten zur Antragsaufgabe
  3. Ermittlung und Ausforschung von potenziellen Antragsstellern.   

Urkundenkonvolut des ZKG-Gründers Willy Woythke. (Priuvatarchiv d. Verfassers)

 

Parallel wirkt die ZKG in Zusammenarbeit mit der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) des MfS bei der Erstellung von Argumentationshilfen zur Eindämmung der Ausreisebewegung mit. Die Struktur der ZKG besteht aus dem Leiter und seinen Stellvertretern, dem Sekretariat bzw. der Rückwärtige Dienste, der Arbeitsgruppe der Leitung der Mobilmachungsarbeit, der Abtl. 1 „Ausreise“, Abtl. 2 „Flucht“, Abtl. 4 „Feindobjekte / -personen“, Abtl. 5 „Operative Bekämpfung von Organisationen und Personen“, Abtl. 6 „Grenzsicherung“, der „Auswertungs- und Kontrollgruppe“ (AKG) und der Arbeitsgruppe „Bruderorgane“ (AGV). Im besonderen Zusammenhang mit den Grenztruppen der DDR steht die Abtl. 6 „Grenzsicherung“ der ZKG; hier bestanden die Aufgaben zur "Vervollkommnung des Grenzsicherungssystems" sowie der "Qualifizierung der Vorbeugung und Verhinderung von Fluchtversuchen". Diese Abtl. befasste sich besonders mit den "spektakulären" Fällen (gewaltsame Grenzdurchbrüche, Flucht mittels Wasser- und Flugfahrzeugen), mit der Verhinderung des sogenannten "Reisemissbrauchs" , der "Rückgewinnung" und "Rückführung" von „Republiksflüchtlingen". 

 


Quellen:


- Peter Joachim Lapp "Gefechtsdienst im Frieden", Bernard & Graefe Verlag, Bonn - 1999

- BStU "Nantomie der Staatssicherheit - Die zentrale KoordinierungsgruppeBekäpfung von Flucht und Übersiedlung", Berlin - 1996

- BStU "Anatomie der Staatssicherheit - Hauptabteilung I", Berlin - 2005

- BStU "Anatomie der Staatssicherheit - Hautabteilung VII", Berlin - 2008

- Jens Gieseke "Die Stasi 1945 - 1990", Deutsche Verlags-Anstalt, München - 2011

 

 

 

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